Saturday, May 17, 2008

PNN Spezial Kultur, 17.05.2008

Zerfallene Bilder


Heute werden die 18. Internationalen Tanztage eröffnet / In „Still Lives“ wirken 40 Potsdamer mit (13.5. 2008)

Ein Mann liegt auf der Straße. Irgendwo in einer anonymen Großstadt. Die Menschen gehen achtlos an ihm vorbei. Eine Frau stolpert über seinen Körper. Diese Situation wird auf einem Bild des kanadischen Fotokünstlers Jeff Wall gezeichnet. Eine inszenierte Darstellung, die Verwirrung beim Betrachter hervorruft, aber auch soziale Reibung provoziert. Vier Choreografen des Berliner Künstlernetzwerks „Good Work“ gingen mit diesem Foto in Potsdam auf Stimmenfang. Sie fragten Passanten auf der Brandenburger Straße, in den Bahnhofspassagen oder am Schlaatz, welche Gedanken sie spontan zu „The Stumbling Block“, dem „Stolperstein“, assoziieren, welche Musik sie dem Bild unterlegen würden oder was für sie darauf fehle. Die per Tonband aufgezeichneten anonymen Äußerungen waren Grundlage für „Still Lives“, der Eröffnungsinszenierung der heute beginnenden Potsdamer Tanztage, auf der sich 14 Choreografen und Gruppen aus zehn Ländern vorstellen. „Still Lives“ wird von 40 Potsdamer Tanzlaien gemeinsam mit den vier Choreografen auf die Bühne gebracht. Zehn Tage arbeiteten sie täglich für vier Stunden an der Performance – ein außergewöhnliches Projekt, das bereits in anderen Städten Europas, wie in Antwerpen, Bukarest und Berlin entwickelt wurde. „Das Stück wird jedoch immer anders“, sagt Sven Till, künstlerischer Leiter der fabrik. In den Potsdamer Antworten hätten die Choreografen besonders das Preußische gespürt. „Die Passanten äußerten sich sehr klar zu dem Geschehen auf dem Foto. Als Musik assoziierten sie zumeist klassische Titel. Zudem war ein großer Stolz auf ihre Stadt und ein sehr hohes Selbstbewusstsein gegenüber Berlin herauszuhören“, so Sven Till. Einige dieser Äußerungen werden heute Abend bei der Vorstellung eingespielt. Aber die Tanzenden erzählen auch eigene Geschichten, sich am Rhythmus der Worte orientierend. Am Ende wird wohl jeder Zuschauer sein ganz eigenes Foto sehen, das vielleicht nur noch entfernt etwas mit dem von Jeff Wall zu tun hat. Auf ein dramatisches „Bild“ greift auch der französische Tänzer Pierre Rigal in seiner Choreografie „Arrets de jeu“ (Anhalten des Spiels) zurück. Er war gerade mal neun Jahre alt, als er 1982 bei dem legendären Halbfinal-Fußballspiel Frankreich – BRD am Fernsehen mitfieberte. Für den Jungen stand danach fest: Eines Tages werde auch ich ein großer Athlet sein. Und tatsächlich brachte es Pierre Rigal zum erfolgreichen Sprinter. Doch dann studierte er Mathematik, anschließend Film und ist nun beim Tanz gelandet. Und damit wieder bei seinem Kindheitstraum. „Auf surreale, artistische und vor allem humorvolle Weise tanzt er sich noch einmal zurück in dieses 90-minütige, entscheidende Spiel seiner Kindheit. Doch was bleibt übrig – 25 Jahre danach? „Zeitlupenartig zerfallen die Bilder in einer Traumlandschaft“, sagt Sven Till zu dieser Deutschlandpremiere am 17. Mai. Zurück zu ihren Wurzeln kehren auch die fünf jungen Slowaken vom „Dance Collective“. In ihrer Choreografie „Opening Night“ erzählen sie, wie sie gemeinsam auf der Folklorebühne ihres Heimatortes Banska Bystrica standen und dort mit fünf Jahren die ersten Tanzschritte gingen. Inzwischen erhielten sie in Brüssel eine erstklassige Ausbildung im zweitgenössischen Tanz, arbeiteten in verschiedenen Kompanien und teilten sieben Jahre eine Wohnung. „Opening Night“ sei eine Ode an ihre gemeinsame Kindheit, „in schönster Selbstironie“, wie Sven Till hervor hebt. „Alle Fünf sind begnadete Tänzer, auf ihre Improvisationskraft vertrauend. Für mich ist es ein Fest, ihnen zuzusehen.“ Das frische, auch liebenswürdig-naive tänzerische Spiel sei ein Gegenmodell zu der verkopften, theoretisierenden Tanzsprache, wie man sie in Westeuropa oft finde. Nicht nur diese Aufführung am 24. Mai werde die Zuschauer über den Bühnenrand hinweg mit Energie und Sauerstoff versorgen, ist sich Sven Till sicher.

Heidi Jäger Vorbestellungen unter 0331-240923.

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