PNN, Potsdam Kultur, 16.05.2008
Ein Bild, so viele Bilder
„Still Lives -Potsdam“ eröffneten die 18. Tanztage
Dieses Verwirrspiel ist gewollt. Warum soll es den Zuschauern in der ausverkauften „fabrik“ anders ergehen als den Menschen auf Potsdams Straßen, die mit diesem seltsamen Foto konfrontiert wurden. „The Stumbling Block“ heißt das Foto des amerikanischen Künstlers Jeff Wall. Zu sehen war es am Mittwoch bei dem Eröffnungsstück „Still Lives – Potsdam“ der 18. Potsdamer Tanztage nicht ein einziges Mal, obwohl dieses Foto Grundlage für die einstündige Performance ist.
Zu hören aus Lautsprecherboxen und zu lesen auf einer Leinwand war, was mehrere Menschen auf dem besagten Foto sahen, wie sie die verwirrende Straßenszene interpretierten. Auf dem Gehweg sitzt ein Geschäftsmann neben seinem Koffer, eine Frau stolpert über einen am Boden liegenden Mann, der die Schutzkleidung eines Eishockeytorwarts trägt, daneben zahlreiche Passanten. Nur einer der Befragten wusste, dass dies ein Kunstfoto von Jeff Wall ist. Die anderen erzählten ihre Sicht der Dinge und es zeigte sich schnell: Ein Bild, so viele Bilder.
Die Künstler der Berliner Good Work Productions haben die unterschiedlichen Blicke auf dieses Foto als Grundlage genommen, um zusammen mit knapp 40 Potsdamer Laientänzern ein Tanzstück zu entwickeln. In Berlin, Bukarest und Lille ist „Still Lives“ auf die Bühne gekommen. Doch weil in jeder Stadt Bewohner nach ihren Eindrücken über „The Stumbling Block“ befragt wurden, ist jede Aufführung von „Still Lives“ eine Premiere.
Am Anfang lagen alle Tänzer auf der Bühne, einer der wenigen ruhigen Momente in „Still Lives – Potsdam“. Während sie dort lagen, gerade noch Musik das Friedliche dieses Bildes verstärkte, sprach der erste über seinen Blick auf „The Stumbling Block“. Der eine sah eine ganz normale Straßenszene, ein anderer die Inszenierung. Den einen verwirrte was er sah, zu viel Unruhe auf dem Bild, für einen anderen war es ein Ruhepol. Während einen die Menschen auf dem Foto kaum interessierten, er die Sauberkeit der Straße lobte, erkannte eine andere in den vorbeieilenden Passanten den Niedergang von Hilfsbereitschaft.
Aus den liegenden Körpern auf der Bühne war mittlerweile ein undurchschaubares Gewusel geworden. Während einige Tänzer flanierten, rannten andere wie gehetzt. Man wich einander aus, suchte die Konfrontation, um dann, ganz abrupt, wie erstarrt stehen zu bleiben. Was die Stimmen aus den Boxen zu dem Foto sagten, was sie sahen, dabei fühlten, wurde von den Tänzern aufgegriffen. Mal synchron zu den Gedanken der Betrachter, mal frei assoziativ. Diese so unterschiedlichen Bewegungen der Tänzer, die Worte aus den Boxen und zeitgleich das Gesagte auf der Leinwand überforderte den Zuschauer. Worauf sich konzentrieren? Auf die Stimmen? Die Schrift? Das, was auf der Bühne passiert? Nichts ist eindeutig. Ein Bild und so viele unterschiedliche Sichtweisen.
Dieses bewusste Verwirrspiel mit dem Zuschauer in „Still Lives – Potsdam“ lässt ihn schnell seine eigenen Gewissheiten, die eigenen Ansichten hinterfragen. Diese Reizüberflutung, in der immer wieder ganz stille und betörende Momente der Ruhe auftauchen, ist ein oftmals wunderschönes Plädoyer für die Vielfalt. Denn ob etwas normal erscheint oder abwegig, ist immer nur eine Sache der eigenen Ansichten. Dirk Becker
„Still Lives – Potsdam“ wird noch einmal heute, um 20 Uhr, in der „fabrik“, Schiffbauergasse, gezeigt. Der Eintritt kostet 12, ermäßigt 8 Euro.
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